Warum ist mein Pferd vorbiegig?

Wann ist ein Pferd vorbiegig?

Ein Pferd ist vorbiegig, wenn sein Karpalgelenk im Stand nicht komplett gestreckt, sondern mehr oder weniger gebeugt ist. Andere Bezeichnungen sind Kniehängigkeit oder Struppiertheit.

Das Pferd, ein ehemaliges Springpferd, ist deutlich vorbiegig auf beiden Vorderbeinen. Das linke Vorderbein wird zusätzlich vor und etwas seitlich gestellt, um es zu entlasten.

Anatomie des Vorderbeins

Physiologisch ist das Karpalgelenk unter Last komplett gestreckt und wird darin vom einem ausgeklügelten Sehnen- und Bandapparat stabilisiert. Auf der Vorderseite ist es vor allem der Lacertus fibrosus, ein starker Sehnenstrang, welcher aus dem Biceps entspringt und mit dem M. extensor carpi radialis vorne am Röhrbein inseriert. Da sich das Schultergelenk unter dem Körpergewicht etwas beugt, wird der Lacertus fibrosus gespannt und das Karpalgelenk gestreckt.
Auf der Rückseite sind es die Unterstützungsbänder der Beugesehnen, welche das Karpalgelenk in Streckung stabilisieren. Das Unterstützungsband der TBS entspringt direkt aus dem Lig. carpi radiatum, einem starken Band auf der Rückseite des Karpalgelenks, dass die Karpalknöchelchen untereinander verbindet. Das Unterstützungsband der OBS entspringt hinten-unten aus dem Radius. Durch den Zug der Beugesehnen wird so das Karpalgelenk in Streckung stabilisiert. Unterstützt wird alles noch durch Bänder und Faszien.

Ursache für ein vorbiegiges Pferdebein

Hat das Pferd nun Schmerzen im hinteren, unteren Bereich des Vorderbeins, bspw. durch drückende Trachten, Entzündungen oder Reizungen der Hufrolle, der Beugesehnen oder ihrer Unterstützungsbänder, wird es versuchen, diesen Bereich zu entlasten und den Schmerzen zu entgehen, indem es leicht im Karpalgelenk einknickt. So wie wir leicht in die Knie gehen, wenn uns etwas an der Ferse oder am Knöchel weh tut.

Wird die Ursache für die Schmerzen nicht abgestellt und das Pferd steht längere Zeit in dieser Entlastungshaltung, tut der Körper, was er immer tut – er passt sich an. Die Sehnen, Bänder und Faszien auf der Rückseite des Beins verkürzen und die Trachten werden höher. Die gebeugte Haltung manifestiert sich und das Pferd ist latent vorbiegig. In schweren Fällen kann das Pferd sein Bein gar nicht mehr komplett strecken.

Konsequenzen der Vorbiegigkeit für das Pferd

In der Literatur wird Vorbiegigkeit häufig als Schönheitsfehler oder Zeichen besonders guter Springpferde bezeichnet. Tritt Vorbiegigkeit aber nicht durch eine angeborene Sehnenverkürzung auf, ist es Ausdruck einer Haltung, die andauernde Schmerzen vermeiden sollte.

Für die Pferde bedeutet diese Haltung aber auch nach Verschwinden der Schmerzen eine erheblich Einschränkung. Da das Karpalgelenk nicht mehr richtig gestreckt werden kann, wird die passive Sehnen-, Band- und Faszienstabilisation des Vorderbeins erheblich geschwächt. Das Pferd muss sein Bein vermehrt aus aktiver Anspannung der Karpalgelenksstrecker stabilisieren, die in Folge dessen häufig verspannen. Um das instabile Bein zu entlasten, muss die Schultermuskulatur auf der gegenüberliegenden Seite unphysiologische Haltearbeit verrichten. Darauf nicht ausgelegt, verspannt auch sie. Sind beide Beine vorbiegig, versuchen sich die Pferde typischerweise mit einer hohen, zurückgedrückten Halshaltung zuviel Vorlastigkeit zu vermeiden.

Die Unterstützungsbänder der Beugesehnen, welche im Stand das Karpalgelenk ja eigentlich durch Zug gestreckt halten sollen, werden durch die angebeugte Haltung natürlich ständig überdehnt. Die Beugesehnen sind durch das Körpergewicht ja weiterhin gespannt und üben Zug auf die Bänder aus. Durch lokale Entzündungen kann dies auf Dauer bis zu einer Verknöcherung der Unterstützungsbänder führen. Einerseits manifestiert dies die Vorbiegigkeit endgültig, andererseits sind das durch die mangelnde Elastizität prädisponierte Stellen für Verletzungen, sollte das Pferd sein Bein einmal abrupt doch strecken müssen.

Auch unter Last ist das Karpalgelenk gebeugt, die Vorbiegigkeit ist manifest.

Durch die gestörte Statik ihrer Vorderbeine sind solche Pferde sehr anfällig für Stolpern oder Stürze, insbesondere auf unebenem Boden oder wenn die Muskulatur ermüdet. Das sollte beim Reiten und beim Training unbedingt bedacht werden.

Was kann ich tun, um Vorbiegigkeit für mein Pferd zu vermeiden?

Auf den Boden achten.

Sowohl beim Reiten und Arbeiten als auch auf der Weide und dem Paddock. Ein zu weicher, tiefer Reitplatzboden belastet die Sehnen erheblich und kann zu Entzündungen und Überlastungen führen. Ein rutschiger Untergrund in Ausläufen oder im Gelände führt leider immer wieder zum Ausrutschen und damit zu Zerrungen der Sehnen oder ihrer Unterstützungsbänder.

Überbelastung vermeiden!

Ein durchdachtes Training ist das A&O. Wärmt Euer Pferd mindestens 15-20 min im Schritt auf. In der Arbeitsphase solltet Ihr darauf achten, dass der Rumpfträger effektiv arbeitet und zur Stoßdämpfung der Vorhand beiträgt. Beginnt Euer Pferd, mit dem Vorderbein hörbar zu ‘stampfen’, ist die Stoßdämpfung nicht mehr aktiv. Gründe können Ermüdung, eine zu starke Längsbiegung oder zu enge oder spannungslose Kopf-Hals-Haltung sein.
Sprünge und Galopp sind immer eine hohe Belastung für die Sehnen! Man muss sie deshalb nicht komplett verteufeln, aber man sollte es wissen!

Aufmerksam sein.

Keiner ist perfekt und es passiert fast jedem einmal, dass sein Pferd an der Longe abknattert, im Gelände ausrutscht oder unvorbereitet längere Strecken laufen oder Hänger fahren muss (auch das ist anstrengend). Fällt Euch danach auf, dass Euer Pferd im Karpalgelenk einknickt oder dort entlastend ‘wippt’, dann nehmt das ernst. Schaut, ob ihr Wärme oder Schwellung im Bereich der Sehnen, Fessel, Hufballen spüren könnt. Wenn dem so ist, könnt Ihr kühlen und einen Tierarzt um Rat bitten. Es zeigen sich aber nicht alle Verletzungen mit Wärme und Schwellung. Spürt ihr nichts, Euer Pferd steht aber trotzdem vorbiegig da, solltet ihr es in den nächsten Tagen aufmerksam beobachten und mindestens 2-3 Tage nur Schritt auf festem Boden gehen.

Mein Pferd ist durch eine alte Verletzung bereits vorbiegig. Was kann ich tun?

Je nach Ausmaß der Verkürzung oder Vernarbung der Sehnen und ihrer Unterstützungsbänder ist es eventuell möglich, die Vorbiegigkeit durch manuelle Techniken und Lasertherapie etwas zu lindern. Je weiter fortgeschritten die Verkürzung oder Vernarbung, desto schwieriger wird das leider.

Daher gilt auch hier wieder, Zeit ist Lebensqualität. Je früher etwas gegen eine beginnende Vorbiegigkeit getan wird, desto aussichtsreicher ist ihre Umkehrung.


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