Warum ist mein Pferd rückständig?

Warum ist mein Pferd rückständig?

Das Vorderbein eines Pferd wird als rückständig bezeichnet, wenn – seitlich betrachtet – die Hufspitze hinter der lotrechten Linie des Schultergelenk steht. 

Ein häufiges Bild in der osteopathischen Exterieur-Analyse: Dieses Fjordpferd ist beidseits rückständig; die lotrechte Linie durchs Buggelenk trifft deutlich vor beiden Hufspitzen auf den Boden. Die kleinen Pfeile markieren die Lage des M. latissimus dorsi.

Viele Pferde sind rückständig, die meisten links mehr als rechts. Doch warum ist das so? 

Eine häufige Ursache ist eine Verspannung oder Verkürzung des M. latissimus dorsi und M. pectoralis profundus. 

Der M. latissimus dorsi, der breite Rückenmuskel, entspringt großflächig aus der Rückenfaszie, der Fascia thoracolumbalis, und dem Rückenband, dem Lig. supraspinale. Er bildet hinter dem Schulterblatt im Bereich der Pauschen einen fühl- und sichtbaren Muskelbauch, ehe er unter dem Triceps verschwindet und innen am Oberarm ansetzt. 

Bei diesem Vollblut ist der M. latissimus dorsi, der breite Rückenmuskel, hervorragend zu sehen. Ein verspannter M. latissimus dorsi ist ursächlich, wenn ein Pferd rückständig ist.
Bei diesem Vollblut ist der M. latissimus dorsi, der breite Rückenmuskel, hervorragend zu sehen.

Das angehobene Bein führt der M. latissimus dorsi schweifwärts, verbunden mit einer leichten Adduktion und Innenrotation des Vorderbeins.
Bei belastetem Bein zieht der M. latissimus dorsi umgekehrt den Pferdekörper vorwärts-seitlich auf das Standbein. Damit ist er neben dem tiefen Brustmuskel einer der wichtigsten Muskeln, die den Rumpf in der Bewegung über das Stützbein ziehen können. 

Ist nun bspw. ein Hinterbein aufgrund einer Verletzung oder fehlender Muskulatur geschwächt, kompensiert das Pferd die fehlende Schubkraft, indem es sich mit dem gegenüberliegenden Vorderbein ‚vorwärts zieht‘, sich also vorwiegend mit dem M. latissimus dorsi und dem tiefen Brustmuskel auf das diagonale Vorderbein zieht. 

Genauso behilft sich das Pferd bei zu früher oder zu starker Rahmenverkürzung, für welche es noch nicht die nötige Kraft und Koordination entwickeln konnte, um ausreichend muskuläre Schub- und Tragkraft zu entfalten. 

Dauerhaft führt diese Kompensationsbewegung erst zu einer Überlastung, dann zu einer Verspannung und schließlich einer Verkürzung des M. latissimus dorsi und M. pectoralis profundus. Das Pferd steht rückständig. 

Da bei vielen Pferden das rechte Hinterbein etwas schwächer als das linke ist, stehen daher viele Pferde links vorne rückständiger als hinten. 

Durch seine enge Verbindung mit der Rückenfaszie kann der Latissimus aber durch unpassendes Equipment beeinträchtig werden. Drücken Sattel, Longiergurt, Geschirr, o.ä. auf die Rückenfaszie, können ihre Schichten verkleben und kleine Verletzungen entstehen. Die so enstandenen Restriktionen und eingeschränkte Flexibilität des Gewebes behindern auch den Latissimus in seiner Arbeit, er verspannt, verkürzt und stellt das Pferd rückständig. 

Mein Pferd ist rückständig. Ist das ein Problem? 

Ja, auf Dauer ist es das. 

Die rückständige Stellung setzt die Beugesehnen und ihre Unterstützungsbänder unter stärkeren Zug (vereinfacht gesprochen, da ihr Weg dann länger ist und sie gespannt werden) und damit sie und ihr umliegendes Gewebe unter Streß. 

Fessel-, Kron- und Hufgelenk stehen nicht mehr in ihrer physiologischen Stellung, wodurch der Gelenkknorpel einseitig belastet wird. 
Durch die veränderte Statik der Vorhand muss das Pferd Hals und Kopf höher tragen, um sein Gleichgewicht zu halten. Dies kann zu Verspannungen der Oberlinie und Kompressionen der Hals- und Brustwirbelsäule führen.

Gemeinsam mit einer sehr weichen Fesselung stellt die Rückständigkeit eine hohe Belastung für die Beugesehnen und den Fesseltrageapparat dar.
Gemeinsam mit einer sehr weichen Fesselung stellt die Rückständigkeit eine hohe Belastung für die Beugesehnen und den Fesseltrageapparat dar.

Was kann ich gegen Rückständigkeit tun?

Zuallererst die Ursache abstellen. Die Verletzung der Hinterhand auskurieren und/oder ihre mangelnde Schubkraft sorgsam aufbauen, für passendes Equipment Sorge tragen und die Rückenfaszie pflegen. 

Die Rückenfaszie und den Latissimus von einem guten Osteopathen entspannen lassen – und sich von diesem zeigen lassen, wie man dies in Zukunft selber unterstützen kann. 

Das Pferd in großem Rahmen arbeiten, welcher durch den langen Hals einen langen Vorgriff der Vorderhand induziert. So wird der Latissimus in jedem Schritt gedehnt und das Pferd kann seine Vorwärtsbewegung durch die davor vorgesehenen Faszien- und Muskelketten zu unterstützen. 

Wie für jede Kompensationshaltung gilt: Je früher sie erkannt wird, desto leichter ist sie zu korrigieren. Je länger eine Rückständigkeit besteht, desto stärker manifestiert sie sich in den faszialen Strukturen und in der Hufform.

Glücklicherweise wird ein Pferd selten über Nacht rückständig. Beobachtet Euer Pferd, ob es nach bestimmten Übungen, starkem Training oder einem Ausritt in bergigem Gelände rückständiger als üblich steht. Ist das der Fall, wird Euer Pferd sich sehr über eine sanfte Massage des Latissimus und Brustmuskels freuen und dankbar für ein lockeres Training in Dehnungshaltung am darauffolgenden Tag sein. Ihr wiederum bekommt durch solche Beobachtungen eine gute Rückmeldung über das aktuelle Leistungsvermögen bzw. einen Hinweis auf etwaige Schwachstellen Eures Pferdes. So könnt ihr einer dauerhaften Verspannung direkt gegensteuern.


Bist Du Dir unsicher, ob Dein Pferd rückständig ist? Wünscht Du Dir Unterstützung bei der Behandlung der Rückständigkeit und einen darauf abgestimmten, individuellen Trainingsplan für Dein Pferd? Ich helfe Dir gerne dabei weiter.

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