Becken-Schiefstand beim Pferd – Woher kommt er und was kann ich tun?

Diese Woche habe ich ein bisschen im Archiv gekramt und dieses Photo von Amy, einer ungarischen Mix-Pony-Stute gefunden. Amy ist über einige Händler-Umwege zu ihrer ehemaligen Besitzerin gekommen, für die ich letzten Winter Amy behandeln durfte. Amy hat einen deutlichen Beckenschiefstand; schaut man sie von hinten an, ist der Höhenunterschied zwischen den beiden Kreuzbeinhöckern deutlich zu sehen. Auch die beiden anderen Referenzpunkte Hüfthöcker und Sitzbein sind gegeneinander verschoben.

Wie kommt ein solcher Schiefstand zustande?

Bei einigen Pferden mag er angeboren oder sich langsam durch ein ungünstiges Bewegungsmuster entwickeln. Da die beiden Beckenschaufeln untereinander und mit dem Kreuzbein durch Bänder aber extrem stabil verbunden sind, liegt in den meisten Fällen ein starkes Trauma vor. Dies kann ein Sturz, Hängenbleiben mit der Hinterhand oder eine massive Überlastung sein, bei der das Pferd sehr stark stemmen muss – bspw. weil es feststeckt, sehr hohe Steilsprünge überwinden oder ein großes Gewicht ziehen muss. In solchen Situation können die Bänder zwischen Becken und Kreuzbein massiv überdehnt oder sogar zerrissen werden. Das Becken verschiebt sich. Welche Ursache es bei Amy war, wissen wir nicht; ich tippe auf einen Sturz.

Welche Auswirkungen hat ein Becken-Schiefstand für mein Pferd?

Auch wenn ein solcher Schiefstand sehr frappierend aussieht, können die meisten Pferde erstaunlich gut damit leben – gutes Training und regelmäßige Behandlung vorausgesetzt. Wichtig ist es, die umliegende Muskulatur – Lendenpartie des Longissimus, Gluteus medius und die Ansätze von Biceps und Semitendinosus – möglichst weich und geschmeidig halten. Das gilt natürlich für jedes Pferd, aber bei einer solchen Verletzung versucht der Körper, den geschädigten Bereich möglichst ruhig zu halten und verspannt die Muskeln. Im Training ist noch sorgfältiger darauf zu achten, dass das Pferd den Schwung locker nach vorne geben darf; versammelnde Lektionen sollten sehr mit Bedacht und Vorsicht ausgeführt werden. Denn mit einer Schädigung der Verbindung von Kreuzbein und Becken ist gerade die Stelle geschädigt, an der der Schub der Hinterbeine auf die Wirbelsäule übertragen wird.

Wie behandelt man einen Becken-Schiefstand?

Welche Seite des Beckens ist jetzt die ‚Richtige‘, die normale? Ist bei Amy die linke Beckenschaufel nach oben geschoben oder die rechte abgesackt? Beides ist möglich. Um diese Frage zu beantworten und entsprechend zu behandeln, schaue ich mir die Bemuskelung der Hinterbeine an; sie zeigt an, welches Bein Amy mehr benutzt, um sich zu bewegen. Bei Amy ist es das rechte Hinterbein; wenn Ihr die Kontur des Ober- und Unterschenkels vergleicht, seht Ihr die stärkere Wölbung von Biceps femoris, Semitendinosus am Oberschenkel und die des Tibialis Cranialis und des Zehenstreckers am Unterschenkel. In der Behandlung werde ich mich also darauf konzentrieren, dass die linke Seite etwas absinken darf. Sie einfach ‚runter zu drücken‘ ist keine Option. Da die Verletzung schon lange zurück liegt, hat der Körper längst alles getan, um das Becken in dieser Position zu stabilisieren; Narbengewebe hat sich gebildet und die Faszien angepasst. Würde man das Becken jetzt mit purer Kraft zurückschieben, würde in diesem Gewebe eine neue Verletzung entstehen – und das Becken wahrscheinlich wieder in die schiefe Position gezogen werden. Nachhaltiger finde ich es da, Bänder, Faszien und Muskeln so zu entspannen, dass die Knochen langsam wieder in eine etwas entspanntere Position rutschen können. Das dauert länger, dafür bekommt der Körper Zeit, sich darauf einzustellen. Je nach Ausmaß der Verletzung ist es so sogar möglich, die Beckenschaufeln wieder anzugleichen. Häufig bleibt das Becken allerdings auch schief; es lassen sich aber die negativen Folgen auf den restlichen Körper im Griff halten.

Ergebnis einer Behandlung

Vergleicht Ihr auf den Vorher-Nachher-Bildern die Ansätze von Biceps und Semitendinosus, seht Ihr, dass die Muskeln sich nach der Behandlung viel weicher und gleichmäßiger voneinander absetzen. Ihre Kontur ist nicht mehr so zusammengezogen und angespannt. Auch das Kreuzbein in seiner Lage zwischen den Kreuzbeinhöckern ist nicht mehr so hinunter gezogen. Das Becken ist nach wie vor schief. Durch weitere, regelmäßige Behandlungen hätten wir es vielleicht etwas gerader bekommen können. Leider ist Amy ihrem Leben als Wanderin treu geblieben und musste ihre Besitzerin aufgrund privater Umstände verlassen. Ich wünsche ihr alles Gute und hoffe, dass sie irgendwann ihren Lebensplatz finden kann.

Hat Euer Pferd auch einen Beckenschiefstand, schreibt mir gerne. Zusammen können wir schauen, welche Seite die ‚heile Seite‘ ist, wie wir die umliegende Muskulatur entspannen und wie Ihr mit Eurem Pferd arbeiten könnt, damit es sich wieder mit Freude bewegen kann.

Beckenschiefstand beim Pferd
Amys Kruppe vor der Behandlung. Die Ansätze der Ischiokruralmuskulatur sind sichtbar angespannt und abgesetzt, das Kreuzbein ist zwischen die Kreuzbeinhöcker abgesunken.
Amys Kruppe nach der Behandlung. Die Muskulatur ist deutlich entspannter, das Kreuzbein nicht mehr so eingezogen.

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